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Analog speaker emulieren mit digitalem phasing

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GeorgeB:
Moin,

--- Zitat ---Was ich erstmal will ist, vorrangig das Phasing zwischen einem Lautsprecher und dem Mikrofon akzeptabel "umbilden" zu können.
Cone to Ring des Lautsprechers VS Cone to Ring des Mikros.
--- Ende Zitat ---
Ist mit völlig unklar was du damit sagen willst. Ich kenne (als langjähriger Lautsprecherentwickler) den Begriff des "Phasings" bei Lautsprechern nicht. Vermutlich meinst du damit mehr oder (eher) weniger auffällige kammfilterartige Effekte, die dadurch enstehen (vor allem bei Nah-Abnahme) dass die Membran ein relativ großer Körper ist und damit für gleiche Frequenzen etliche verschiedene Abstrahlorte bestehen, die sich nach dem Huygens-Prinzip überlagern, d.h. alle mit verschiedenem Laufweg zum Mikrofon (dessen Membran-Ausdehnung übrigens hier eher irrelevant ist, ausser in Spezialfällen wie große Bändchen). Durch die verschiedenen Phasenlagen gibt es dadurch konstruktive bis destruktive Addition. Alles ein recht komplexes 3D-Problem.
Mit einem einzelnen Delay emulierst du das nicht, dafür eher eine einzelne Reflexion an einer großen, schallharten Fläche wie zB dem Boden (was aber bei Nah-Abnahme nicht in den Sound groß eingeht). Der Fall einer eher schlecht mikrofonierten Box mit mehreren Chassis würde man damit aber halbwegs emulieren können.

All das obige gilt erstmal nur für die 100% biegesteife Membran.... welche gerade bei einem Gitarren-Chassis nicht vorliegt. Teile der Membran koppeln mit steigender Frequenz immer mehr ab je weiter man nach aussen geht, radial. Und das tun sie eher unkontrolliert, es gibt uU starke Resonanzen und nichtlineare (pegelabhängige) Effekte derselben. Sogar chaotische Effekte kann man zuweilen beobachten, als Sachen die nicht durch einfache, statische Nichtlinearitäten so leicht zu erzeugen sind, zB unharmonische tiefere "Ghost-Notes" die auch mit schon mit Kleinsignal auftreten können.

Zumindest den linearen Anteil des Verhaltens (also die Übertragungsfunktion) kann man aber *exakt* mit der gemessenen Impulsantwort (in situ, also auch mit genau der treibenden Quellimpedanz der Endstufe) abbilden, weswegen ja die IR-basierten Lautsprecher-Emulationen doch sehr gut arbeiten, sagen wir, in erster Näherung praktisch perfekt.
Und die IR kann man eben auch analog nachbilden. Man beachte dabei, dass selbst Kammfilter-Effekte, die durch ein einfaches Delay entstehen (auch wenn das so in der Realität kaum vorkommt), sich über eine kleine Kaskade an Notchfiltern exakt nachbilden lassen, es ist kein physikalisches Delay dazu notwendig. Das ist zwar unintuitiv aber halt die Physik). Wie ich schon im anderen Post schrieb, eine gemessene echte IR ist die Guideline, die man ja nicht exakt nachbilden muss, aber eben in der Struktur, damit es nach Gitarren-Speaker klingt, schon allein vom linearen Amplituden- und Phasenverhalten.

Kommen wir zum Großsignalverhalten, du sprichst von "pegeldynamischen EQs", mit denen du diesen Teil erschlagen willst.
Aber unter Großsignal wird ein Chassis nicht einach frequenzselektiv lauter bzw leiser, bzw gilt das nur für den einfachsten Großsignal-Effekt, der Schwingspulenerwärmung mit der resultierenden "Power-Compression". Bei einem guten Chassis darf die Spule bis zu 200°C heiß werden und hat dann ihren Widerstand in etwa verdoppelt. Damit wird der Speaker im Schnitt um bis zu 6dB leiser (bei niederohmigen Antrieb), die Systemgüte geht etwas hoch (mehr Bass auf der Systemreso) und die statische Schwingspulendinduktivität geht weniger in den Frequenzgang ein und erzeugt deshalb mehr Höhen, der Frequenzgang wird etwas "badewanniger". Durch die kleine Masse des Schwingspulendrahtes sind die Zeitkonstanten bei Gitarren-Chassis relativ kurz, bei einem Signalburst knickt der Pegel durchaus innerhalb von unter einer Sekunde deutlich weg und erholt sich auch recht schnell wieder. Jedoch hängt das alles stark von der Ausgangsimpedanz der Endstufe ab: je höher diese ist, umso weniger passiert etwas durch die Erwärmung.

Viel wichtiger als die Power-Compession ist aber die weit früher einsetzende Hubüberlastung. Gitarrenchassis haben meist keinerlei Schwingspulen-Überhang, d.h. sobald sich die Membran nennenswert bewegt (>1mm) treten Teile der Spule aus dem Luftspalt und der Kraftübertragungsfaktor ("BL") bricht immer mehr zusammen. Ausserdem ist die Aufängung nicht langhubig linear sondern stark progressiv, d.h. die Rückstellfeder wird immer härter je größer die momentane Auslenkung ist. Das Resultat ist hochgradig nichtlineares Verhalten des Motors (zT auch wieder chaotisches) mit dem Effekt sehr starker hörbarer Verzerrungen. Einzeltonklirr mag zwar sogar gemessen akzeptabel aussen solange der Hub gering ist (also bei höheren Frequenzen), aber wir betrieben das Chassis ja breitbandig und das erzeugt Massen von (unharmonischen) Intermodulationsverzerrungen ("IMD") sobald mehr als ein einzelner Sinuston im Spiel ist, je mehr Bassanteile umso schlimmer. Diese IMD sind aber ganz entscheidend für den Höreindruck eines Gitarrenspeakers der "hart angeblasen" wird und erst dadurch "richtig geil klingt", den man daher mit emulieren sollte wenn man diesen Realitätsgrad haben will (durchaus wichtig bei "laut" emulierten Cleansounds), und auch teilweise kann, analog. Notwenig ist dazu, den Membranhub in etwa zu emulieren und diesen dann schön weich und langsam soft zu clippen (zudem idR asymmetrisch). Dazu muss man das Signal (pre-EQ) zweimal integrieren (tiefrequenter Schalldruck ist proportional zu zweiten Ableitung des Hubes), dann verzerren, und dann wieder zweimal differenzieren. Natürlich sinnvoll bandbegrenzt.

Zu den EQs kurz noch: Der Hochpass ist immer (mindestens) zweiter Ordnung (warum, siehe oben), und speziell im Falle geschlossener Boxen mit uU einer recht hohen Güte (>2 oder so). Im Passband kommt man uU tatsächlich mit ein paar wenigen PEQs und evtl. Shelves aus, und eben ein ggf. paar Notches. Der Tiefpass ist extrem wichtig und mit die heikelste Stelle ob das Resultat dann zu dumpf oder zu spitz klingen wird, da sollte man auch die etwaigen Details einer typischen Flanke halbwegs abbilden bis -20dB oder so, vor allen starke Peaks und Notches.

Dies alles ist als Anregung gedacht, mir ist klar dass man in Phase 1 eines solchen Projektes nicht jedes Detail abbilden kann und möchte, und je nach Abspruch ist der Punkt "ist gut genug für meine Zwecke" auch recht früh erreicht. Es schadet aber nie zu versuchen die Phänomene besser zu verstehen.

Han die Blume:
Danke George für diese ausführliche Ausführung, das war sehr erhellend für mich!
LG
Kai

bea:
Für mich auch. Aber um sie an die Thematik heranzutasten geht es im "nullten" Schritt sicher auch sehr viel einfacher - im Laufe einer derartigen Entwicklung wird man sicherlich mehrere Prototypen mit wachsender Komplexität aufbauen müssen.

Allererste Gehversuche habe ich gerade mit einfach nur meinem Mischpult machen können (A&H ZED10, semiparametriesche Mittenregelung): Höhen ganz herausnehmen und dann im Präsenzbereich wieder auffüllen. Mittenregelung dabei etwas höher ansetzen als die 2.5 kHz bei Regelungen mit fester Mittenfrequenz (das klappt aber notfalls auch).

Ist zwar "sehr qualitativ", reicht aber zumindest, um mit Gitarre oder Bass ansatzweise sinnvoll über Kopfhörer üben zu können.

Und das sollte man doch sukzessive verfeinern können?

Ach so: wäre es eine Option, den Lautsprecher einschließlich seiner mechanischen Eigenschaften durch elektrische Ersatzgrößen nachzubilden und diesen analogen teil dann in Spice zu simulieren?

rail2rail:
So...

Erstmal vielen Dank für die absolut tiefe und fundamentale Lehrstunde :) Meine ich ernst.
Mir ist als ehemaliger Tontechniker natürlich nicht alles ganz unbekannt ...
Ich will es aber weniger prakmatisch angehen.


Erstmal dennoch auf das "Phasing" zurück.
Ich rede selbstverständlich vom Kammfilter Effekt. Allerdings möchte ich diesen Bewusst herbeiführen und manipulieren so dass es klingt.

Ich will keine early reflections oder sonstige Reflektionen simulieren (wobei ich das im Endeffekt tu), sondern das Nutzsignal kontrolliert in bestimmten Frequenzbändern zum kollabieren bringen. Dies natürlich nur dezent um ein akustisches Abbild eines Mikrofons zu gewinnen.

Dazu benötige ich im Grunde 2 aktive parametrische EQ's.

1.) HPF, 4 Band parametric, LPF -> Nutzsignal
Dieser bildet grob einen Lautsprecher ab.

2.) 4 Band Dynamic EQ -> Kammfilter (im übertragenen Sinne) delay.


Der zweite EQ zieht abhängig vom Eingangspegel bestimmter Frequenzen ein Band raus. Quasi ein Multiband Limiter.

Das ganze führe ich dann dem Nutzsignal wieder zu.

Was passiert ist, dass der eigentliche Kammfilter mit zunehmendem Pegel nur auf den zwischenliegenden Frequenzen greift.
Bedeutet, dass das Limiting der einzelnen Bänder dazu führt, dass im Nutzsignal keine Auslöschung stattfindet.
"Ähnlich (in sehr weitem Sinne)" passiert es nunmal wenn 2 Membrangrößen aufeinander treffen.

Das ganze ist natürlich keine "Lautsprecher - Mikrofon" Simulation, sondern eine Emulation, die es mir erlaubt, den Preamp oder die Klampfe direkt in das Recordinginterface zu stecken.

Als Spieleobjekt habe ich mir erstmal das Fundament mit Gyratoren, HPF, LPF und Lineout (Isoliert ;=) ) gebaut.

Fehlt noch eine Hook On Platine mit dem Sample delay und dem dynamischen EQ, im Moment habe ich schwierigkeiten, die Seriellen Daten zu speichern. Zwar kann ich AD / DA Wandeln, allerdings ist das Ziel mit 44100 kHz in 24 Bit auch recht hoch für einen Mikrocontroller.
Ich habe jetzt erstmal SRAM bestellt, der die Daten einfach FIFO ausgibt (wenn ich es hin bekomme).


An dem Gerät sind zur Zeit die 4 Gains der EQ's als Poti ausgeführt.

Und ich finds jetzt schon geil... Ich habs direkt auch mit nach Hause genommen und werde die Tage mal ein File fertig machen.

Vor Mitte Januar komme ich nicht mehr dazu weiter zu machen.

Blockschaltbild zeigt vielleicht mehr als 1000 Worte.


Im Endeffekt ist das Ziel, das Verhalten von Membran auf Mikro zu emulieren. Dieses ist, auch wenn viele Meinungen da gegen reden werden nunmal Pegelanbhängig.

Und natürlich gebe ich recht, die Membranfläche des Mikrofons spielt dabei eine untergeordnete Rolle.


Vielleicht kann ja dennoch jemand etwas mit diesem zur Zeit noch wirren Thema anfangen. Ich fange auch gerade erst an, diese Materie zu perfektionieren.


LG und allen schicken Weihnachtsmann plus guten Rutsch!


@ BEA, Spice Simulationen haben sicherlich immer viel Lehrreichen Wert und sing gerade am Anfang immer sehr hilfreich, dennoch denke ich, dass eine Simualtion allein nicht reicht, da hier mindestens 4 Größen aufeinander treffen. Lautsprecher, Gehäuse, Mikrofon, Raum.
Es sind einfach zu viele Parameter die man nicht vorweg isloieren kann, da zum Mikro auch immer Raum gehört, genau wie zum Lautsprecher mindestens auch der Raum und das Mikro.

Spice ist so Theoretisch. Aber die Idee finde ich gut.


Ich werde ab Februar ggf meine FFT Aufzeichnungen veröffentlichen.

lg

rail2rail:
Shit... Bild vergessen ...

Lg

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